Rückenmarkverletzungen und Querschnittlähmung

Querschnittlähmung: Durch in der Regel lebenslange Lähmungen, Empfindungs- und Blasen-Mastdarm-Störungen geprägte Erkrankung, meist infolge einer Verletzung des Rückenmarks, seltener z. B. durch Bandscheibenvorfälle, Rückenmarkentzündungen oder -tumoren. Männer sind häufiger als Frauen betroffen, da Sport- und Verkehrsunfälle Hauptursachen sind.

Leitbeschwerden

Meist beidseitige Lähmungen und Gefühllosigkeit der Beine oder Arme und Beine.

Wann zum Arzt

Sofort den Arzt rufen, wenn nach einer Verletzung Lähmungen oder Empfindungslosigkeit auftreten.

Besteht am Unfallort der Verdacht auf eine Rückenmarkverletzung, darf die Wirbelsäule am Unfallort und während des anschließenden Transports ins Krankenhaus nicht bewegt werden, damit keine zusätzlichen Schäden entstehen.

Die Erkrankung

Die Bezeichnung Querschnittlähmung ist zwar griffig, aber ungenau. Denn jede Querschnittlähmung ist anders, je nachdem, auf welcher Höhe des Rückenmarks die Verletzung liegt und ob das Rückenmark durch die Verletzung vollständig oder nur teilweise durchtrennt wurde. Zudem sind verschiedene Phasen einer Rückenmarkverletzung durch ein unterschiedliches Beschwerdebild gekennzeichnet.

Para- und Tetraplegie

Welche Folgen eine Rückenmarkverletzung hat, hängt davon ab, wo das Rückenmark geschädigt wurde: Je höher die Verletzung liegt, desto mehr Leitungsbahnen vom oder zum Gehirn sind betroffen und desto umfangreicher sind die Ausfälle. Bei 60 % der Querschnittgelähmten ist die Armbeweglichkeit erhalten (Paraplegie). Ungefähr 40 % der Querschnittgelähmten haben eine Tetraplegie, d. h. Arme und Beine sind gelähmt.

Komplette und inkomplette Querschnittlähmung

Bei einer kompletten Querschnittlähmung ist das Rückenmark auf einer Höhe komplett durchtrennt. Bei einer inkompletten Querschnittlähmung ist nur ein Teil des Rückenmarks durchtrennt, sodass noch Restfunktionen bestehen, die für die Rehabilitation genutzt werden können.

Spinaler Schock – chronische Querschnittlähmung

Wird das Rückenmark durch eine Verletzung vollständig durchtrennt, können keine Befehle vom Gehirn über die verletzte Region hinweggeleitet werden. Folge ist ein spinaler Schock – unterhalb der verletzten Stelle „tut sich gar nichts mehr“, die Muskeln sind gelähmt und völlig schlaff, die Reflexe vollkommen erloschen. Erst nach vier bis sechs Wochen entwickelt sich die chronische Querschnittlähmung: Die Grundspannung der Muskeln steigt stark an (Spastik), Reflexe sind jetzt wieder vorhanden und geringe Reize genügen, um überschießende unwillkürliche Bewegungen auszulösen.

Commotio spinalis

Beim Rückenmark kann es durch stumpfe Gewalt zu funktionellen Störungen kommen, ähnlich einer Gehirnerschütterung. Strukturelle Rückenmarkschäden sind nicht nachweisbar. Bei einer solchen Commotio spinalis bilden sich die anfänglichen Ausfälle nach Minuten bis Stunden, längstens aber nach zwei Tagen vollständig zurück.

Das macht der Arzt

Bei Verdacht auf eine Rückenmarkverletzung laufen Diagnose und Behandlung fast gleichzeitig ab. Erhärtet sich der Verdacht auf eine Rückenmarkverletzung, wird der Verletzte baldmöglichst in ein spezielles Querschnittzentrum verlegt, da die Versorgung personell wie apparativ sehr aufwändig ist.

Zuerst steht die Sicherung von Herz-Kreislauf- und Atemfunktion im Vordergrund. Eine gute Sauerstoffversorgung ist auch bei Rückenmarkverletzungen für das Überleben von Nervenzellen sehr wichtig, gerade beim spinalen Schock ist der Herzschlag jedoch zu langsam und der Blutdruck zu niedrig. Außerdem wird Kortison gegeben. Röntgenaufnahmen, ein CT oder ein Kernspin dienen der Suche nach Wirbelsäulen- und Rückenmarkverletzungen und ermöglichen die Entscheidung, ob eine Operation, z. B. zur Stabilisierung eines Wirbelbruchs, sinnvoll ist.

In der Phase des spinalen Schocks muss der Verletzte oft auf einer Intensivstation betreut werden. Er ist extrem komplikationsgefährdet, da er nicht nur gelähmt ist, sondern auch viele vegetative Funktionen wie etwa die Gefäß- und Temperaturregulation ausgefallen sind. Um einem Wundliegen vorzubeugen, muss er regelmäßig umgelagert werden, was wegen der knöchernen Wirbelsäulenverletzungen oft nur mit Spezialbetten möglich ist. Die Atmung ist lähmungsbedingt oft beeinträchtigt (bis hin zur Beatmungsnotwendigkeit), es drohen Herzrhythmusstörungen, durch die Schlaffheit der Muskeln ist die Thrombosegefahr hoch, und Blase und Darm sind ebenfalls gelähmt. Gleichzeitig beginnen die Rehabilitationsbemühungen: Durch Physiotherapie wird Versteifungen und übermäßiger Spastik vorgebeugt, baldmöglichst werden noch vorhandene Restfähigkeiten trainiert.

Mit zunehmender Stabilisierung seines Zustands lernt der Betroffene in spezialisierten Kliniken und unter Einsatz von Hilfsmitteln, seine Restfunktionen bestmöglich zu nutzen. Möglicherweise ist es sinnvoll, bewegungsfähige Muskeln operativ „umzusetzen“, damit sie wichtige ausgefallene Funktionen übernehmen können. Manchmal kann die Hand-, Atem- oder Blasenfunktion durch elektrische Stimulationsgeräte unterstützt werden. Bislang gelingt es aber nicht, das Rückenmark, z. B. durch Wachstumsfaktoren oder Einpflanzen von Stammzellen, zu regenerieren.

Der Verletzte hat nicht nur einen spinalen, sondern auch einen psychischen Schock, denn von einem Augenblick auf den anderen ändert sich für die meist noch jungen Menschen ihre gesamte Lebensplanung. Das Personal in den Querschnittzentren kann dank seines medizinischen und technischen Know-hows zwar vieles anstoßen und bewirken. Eine unschätzbare Hilfe für den Betroffenen sind aber seine Angehörigen und Freunde, wenn sie zu ihm halten und ihn unterstützen, ohne ihn zu bevormunden.

Prognose

Eine zuverlässige Abschätzung der Dauerfolgen und Planung der weiteren Rehabilitationsmaßnahmen ist erst nach Abklingen des spinalen Schocks möglich. Generell gilt, dass die Aussichten umso besser sind, je mehr Funktionen nach drei Tagen wieder vorhanden sind.

Die Rehabilitation im Krankenhaus dauert je nach Verletzung etwa sechs bis zehn Monate. War der Patient mit Paraplegie vor dem Unfall gesund und gut trainiert, so sind durch die heute verfügbaren Hilfsmittel seine Aussichten auf ein selbstständiges, wenn auch massiv verändertes Leben recht gut. Bei einer Tetraplegie bleibt der Patient pflegebedürftig und ist möglicherweise auf künstliche Beatmung angewiesen. Durch die hohe Komplikationsgefahr ist die Lebenserwartung dieser Patienten nach wie vor vermindert.